Joschka Fischer

Jan 28, 2001 at 00:00 1689

Biografien zu Joschka Fischer - eine ungewöhnliche Karriere in der Kritik

Die Kontroverse um Aussenminister Joschka Fischer, den beliebtesten Politiker der Bundesrepublik, erhitzt die Gemüter. Einst zogen die 68er aus, um ihren Vätern und Grossvätern ein gespaltenes Verhältnis zur Vergangenheit sowie ein selektives Erinnerungsvermögen vorzuwerfen. Vorwürfe ähnlicher Art muss sich heute der vom Sponti über den Turnschuh- zum eleganten Aussenminister der Republik aufgestiegene Politiker gefallen lassen. Seine Vorwärtsstrategie mit einem Interview im Stern im Vorfeld seiner Befragung im Prozess gegen den Terroristen Klein, wohl als Mittel zur prophylaktischen Schadensbegrenzung gedacht, wurde fast zum Rohkrepierer. Seine Rolle in der „Putzgruppe“, einer Schlägertruppe der Frankfurter Sponti-Szene, ist durch Fotos erneut ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.

Einen Tag nachdem die Terroristin Ulrike Meinhof in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim erhängt aufgefunden wurde, gemäss den Behörden ein Selbstmord, in den Augen vieler „Bewegter“ ein Mord, kam es am 10. Mai 1976 in Frankfurt zu einer gewalttätigen Demonstration bei der Molotow-Cocktails gegen Polizisten flogen und einem Beamten lebensbedrohliche Brandverletzungen zufügten. Christian Schmidt warf 1998 in seinem Buch Wir sind die Wahnsinnigen. Joschka Fischer und seine Gang, gestützt auf die Aussage eines Zeitzeugen, Joschka Fischer vor, sich am Vortag in der entscheidenden Versammlung der Demonstranten für den Einsatz von Brandsätzen ausgesprochen zu haben. Heute kann sich der Aussenminister „bei bestem Willen“ (Spiegel-Interview) nicht mehr daran erinnern.

Der Tod von Ulrike Meinhof war nicht irgendein Ereignis. So etwas gräbt sich (zumeist) ins Gedächtnis ein. Sybille Krause-Burger teilte er noch für das wohlwollende Buch Joschka Fischer. Der Marsch durch die Illusionen mit, da sei gar nichts gewesen, sogar was das Steinewerfen anbetraf – das ist selektive Wahrnehmung. Heute kann sich Fischer immerhin wieder ans Steinewerfen erinnern, mit dem Terrorismus will er allerdings nichts am Hut gehabt haben.

Bei der Ermordung des früheren hessischen Wirtschaftsministers Heinz Herbert Karry (FDP) im Jahr 1981 soll Fischer insofern involviert gewesen sein, als sein Auto zuvor für den Transport der Todeswaffe gebraucht worden sei. Fischer meinte dazu, er habe dem Terroristen Hans-Joachim Klein den Wagen lediglich gegeben, um von ihm einen neuen Motor einbauen zu lassen. Erst später habe er erfahren, dass mit dem Auto Waffen transportiert wurden, die aus einer amerikanischen Kaserne gestohlen worden waren.

Sehr differenziert geht Fischer weder mit seiner Biographie noch mit der deutschen Geschichte um. Im Jahr 1968 war die Regierung Brandt noch nicht an der Macht, sondern mit Kiesinger ein ehemaliger Nazi. Gewisse Defizite der Nachkriegsgesellschaft waren unleugbar. Doch Mitte der 70er Jahre waren mit der Sozialliberalen Koalition und den Kanzlern Brandt und Schmidt längst neue Zeiten angebrochen. Im Januar 1973 hatte der letzte amerikanische Soldat Vietnam verlassen, das nun ein sozialistischer Staat geworden war. Fischer warf in dieser völlig anderen innen- wie aussenpolitischen Situation mit Steinen und dirigierte die „Putztruppe“, deren Aktivitäten er heute verharmlost. Abgesehen davon waren Ho Chi Minh, Mao, Che Guevara und Castro keine nachahmenswerten Vorbilder.

Teile der Sponti-Szene übten sich nicht nur in Gewalt gegen Sachen und schlugen Polizisten, sondern einige mutierten gar zu Terroristen. Eine Zeit lang bestand eine Situation der Grauzone, in der sich Spontis und Terroristen nahe kamen. Fischer distanzierte sich bald von den Terrorakten und setzte sich für den Marsch durch die Institutionen ein, wobei über den Zeitpunkt dieser Wandlung unterschiedliche Sichtweisen kursieren.

Sollten doch noch eindeutige Beweise dafür auftauchen, dass Fischer „aktiven“ Terroristen Beistand geleistet hat, müsste er zurücktreten. Weniger, wegen dem Tatbestand an und für sich, denn er hat sich seither als Demokrat bewährt, sondern weil er in diesem Fall wiederholt gelogen hätte und ihm fortan jede Glaubwürdigkeit abginge. In der Szene-Zeitschrift Wir Wollen Alles (Nr. 5 vom Juni 1973) wurde Joschka Fischer als Kontaktmann der italienischen Lotta Continua aufgeführt (siehe Christian Schmidts Fischer-Biographie; im Spiegel 2/2000 S. 29 wird darauf verwiesen). Doch bisher konnte Fischer nichts angelastet werden.

Fischer steht heute unzweideutig auf dem Grund des demokratischen Rechtsstaates. Er hat sich gewandelt. Die heutigen Anwürfe kommen spät. Bereits bei seiner Ernennung 1998 war Fischers Vergangenheit, die er damals allerdings noch zu rosa malte, bekannt. Ein Rücktritt auf Grund verjährter Straftaten kommt für Kanzler Schröder nicht in Frage. Von einem politischen Leichtgewicht hätte er sich wohl bereits getrennt, doch Fischer ist das Zugpferd der Grünen. Mit ihm steht und fällt die Koalition; wenn nicht in dieser Legislaturperiode, dann zumindest bei den nächsten Wahlen. Schröder muss am beliebtesten Politiker der Republik, festhalten. Die Personaldecke der Grünen wie auch der SPD ist zu dünn geworden. Es stehen keine alternativen Persönlichkeiten mehr auf Abruf bereit.

Zurück zur Diskussion um die Anwürfe an Fischer: Die Linken und Grünen 68er sehen sich teilweise bis heute als die besseren Demokraten. Das Streben nach Sozialismus war und ist für viele der Wunsch nach einer besseren Gesellschaft (gewesen). Wenn sie Steine warfen, dann für eine gute Sache. Selbst die Kommunisten strebten nach einer gerechteren Welt, während dem die Nazis nur das „Böse“ wollten. Dass auch ein Hitler nicht ohne positive Visionen an die Macht kommen konnte, verstehen sie nicht. Noch weniger begreifen sie, dass nicht nur Nazi-Deutschland, sondern auch das kommunistische Sowjetrussland von Anfang an ein Unrechtsregime war. Auch für die Jahre nach 1945 gefallen sich Teile der Linken in selektiver Wahrnehmung. Die SPD lehnte Adenauers Westintegration ab, nicht nur, weil sie der Rechten nicht mehr wie zur Zeit der Weimarer Republik das Feld des Nationalismus überlassen wollten, sondern auch, weil sie vom demokratischen Sozialismus in einem neutralen Deutschland träumten. Was für ein Unfug. Dadurch wäre ein riesiges Machtvakuum im Herzen Europas entstanden, ein sicherheitspolitischer Albtraum. Vom wirtschaftspolitischen Unsinn, den sie vertraten, ganz zu schweigen. Der Sozialstaat wird von den nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen arbeitenden Sektoren finanziert.

1968 träumte so manches heutige Rot-Grüne Regierungsmitglied von der Revolution, von einem sozialistischen Staat, denn es zu schaffen galt. Noch 1989/90 wollte so mancher von ihnen aus der DDR ein Labor des demokratischen Sozialismus machen. Wiedervereinigung war für viele nicht das oberste Ziel. Vielmehr sollte im Osten ein Dritter Weg beschritten und ein Alternativmodell zur marktwirtschaftlichen Demokratie verwirklicht werden. Kanzler Schröder, der zumindest noch bis Anfang der 90er Jahre links von Oskar Lafontaine stand, und Aussenminister Fischer, haben ihre Parteien gegen Ende der Ära-Kohl jedoch ins politische Zentrum geführt. Das sind verdienstvolle Schritte. Damit haben sich beide weit von den meisten ihrer früher verfochtenen Positionen abgewandt. Fischer und Schröder haben sich mehrfach in ihren Karrieren „neu erfunden“. Doch von der rückhaltlos selbstkritischen Rückschau, die sie von anderen regelmässig fordern, ist bei ihnen nicht viel zu sehen und hören.

Siehe zur Biographie von Joschka Fischer den Artikel in Cosmopolis Nr. 1 zur Regierung Schröder mit Rezensionen der Bücher von Sybille Krause-Burger, Christian Schmidt sowie von Joschka Fischer selbst. Hier sei auf das Buch von Michael Schwelien (2000), Joschka Fischer. Eine Karriere (Buch bestellen bei Amazon.de), verwiesen. Schwelien wurde wie Fischer 1948 geboren und kennt ihn bereits aus der Zeit der Frankfurter Sponti- und Anarchoszene. Schwelien arbeitet als Spezialist für Aussenpolitik und Reporter bei der Hamburger Zeit. Zu seinen Publikationen gehört auch Die voyeuristische Gesellschaft oder Bill Clinton und die Selbstzerstörung der amerikanischen Demokratie.

In zehn thematischen Kapiteln versucht Schwelien Fischers Politik von seiner Biographie her zu erklären. Im Anhang finden sich Auszüge aus wichtigen Reden des Grünen Politikers. Als Sponti bezeichnete sich Fischer als Sohn eines „armen Grasfressers“. Als Krause-Burger in ihrer Biographie von seiner Herkunft aus einer Vertriebenen-Familie mit ansehnlichem Gehöft, Kindermädchen und Waschfrau berichtete, betonte Fischer 30 Jahre später den familiären Opfergang als „Quintessenz der deutschen Geschichte“ und legte ein „Bekenntnis zur bürgerlichen Herkunft“ ab. Fischer sei ein charismatischer Politiker „amerikanischen Typs“, ein „politischer Popstar“, der als Schauspieler auf verschiedenen Bühnen auftrete und sich bewusst selbst inszeniere. Er sei ein Autodidakt, der aus einem Komplex fehlender formeller Bildung ständig seine intellektuelle Überlegenheit demonstrieren müsse. Er inszeniere sich als Mann der zweiten Reihe, der anderen die Show überlasse, wobei er jedoch immer durchscheinen lasse, wer der Fähigste sei. Der angebliche Wandel vom Pazifisten zum Falken im Bosnien- und Kosovokrieg sei nichts als gut getarnter Opportunismus. Fischer verstecke seine machtpolitischen Instinkte hinter moralisierenden Begründungen wie dem Einsatz für Menschenrechte. Fischer habe der NATO-Politik auf dem Balkan nur zugestimmt, weil Schröder ihn sonst nicht zum Aussenminister berufen hätte. Schwelien vergisst nicht zu erwähnen, dass Fischer einst den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO verlangt hatte. Nach der Ermordung von Schleyer, Ponto und Buback schrieb Fischer: „Bei den drei hohen Herren mag mir keine rechte Trauer aufkommen.“ Das war 1978, nach Entebbe, wie Schwelien spitz vermerkt.

Neben einleuchtenden Kommentaren enthält das Buch eine gute Dosis Polemik, insbesondere bezüglich der Balkanpolitik, aber auch harmlosere Seitenhiebe wie zu Fischers „angenommenem Frankfurter Dialekt“. Schwelien meint, „bei genauerem Hinsehen“ erweise sich Fischer „als erstaunlich konsequent, als zielstrebig und beharrlich, als geradezu beamtenhaft penibel“. Schwerer wiegt, dass Schwelien weitgehend Fischers Beitrag seit den 80er Jahren zur allmählichen Hinwendung der Grünen zur Republik und ihren rechtsstaatlichen Mitteln ignoriert. Diese Integration hat mit dem Aufstieg zur Regierungspartei ihren Höhepunkt erreicht. Nach Christian Schmidt und Sybille Krause-Burger fügt Michael Schwelien dem Bild von Fischer nicht viel hinzu.

Sybille Krause-Burger: Joschka Fischer. Der Marsch durch die Illusionen. Gebunden, DVA, Stuttgart, 1999, 255 S. Bestellen bei Amazon.de.

Michael Schwelien: Joschka Fischer. Eine Karriere. Gebunden, Hoffmann und Campe, Hamburg, 2000, 314 S. Bestellen bei Amazon.de.

Christian Schmidt: Wir sind die Wahnsinnigen Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang. Econ TB, München, 1999, 349 S. Buch bestellen bei Amazon.de.