Peter O’Toole

Apr 01, 2003 at 00:00 2591

Biografie, Filme, Filmografie, DVDs
Beruhend auf Sibylle Luise Binder: Peter O'Toole. Ein Porträt. Henschel Verlag, Berlin

Peter O’Toole ist am 14. Dezember 2013 im Londoner Wellington Spital im Alter von 81 Jahren verstorben. Er hinterlässt zwei Töchter und einen Sohn aus zwei Beziehungen. Er wurde acht Mal für einen Oscar nominiert – und verlor alle acht Mal, was einen traurigen Rekord darstellt. 2003 erhielt er doch noch einen Academy Award, den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk, den er zuerst ablehnen wollte, weil er noch immer hoffte, einen „richtigen“ Academy Award zu gewinnen [hinzugefügt am 15. + 16.12.2013].

Biographie von Peter O’Toole

Am 23. März 2003 hat Peter O’Toole in Los Angeles, nach sieben erfolglos gebliebenen Nominierungen, seinen ersten Academy Award erhalten: den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk.

Peter O’Toole wurde gemäss Pass am 2. August 1932 geboren. Das Ereignis taucht in einem englischen Unfallkrankenhaus auf. Gemäss der Familienversion wurde er im Juni 1932 in Irland geboren. Die Taufe fand im November 1932 in England statt. Diese sich widersprechenden Daten und Orte hängen mit der Familiengeschichte zusammen.

Die O’Tooles reisten mit ihrem Vater, einem Spieler und Buchmacher, in einer Zeit, in der Wetten und Wettannahme in Irland und England illegal waren, von einem Rennplatz zum anderen. Patrick Josef O’Toole war kein treusorgender Ehemann und Vater, sondern „Captain Spats“ O’Toole war das schwarze Schaf einer unangepassten irischen Familie, die schon in Cromwells Zeiten unangenehm aufgefallen war und deshalb von der Obrigkeit aus dem fruchtbaren Osten Irlands ins karge Connemara verbannt wurde. Den „Captain“ hatte er sich nicht im Militär, sondern auf dem Fussballfeld erworben.

Die Mutter, Constance Jane Eliot Ferguson, stammte aus einer gutbürgerlichen schottischen Familie. Früh verweist, wuchs sie in Kinderheimen auf. Die attraktive, selbständige und selbstbewusste Frau arbeitete als Oberschwester in einer Klinik.

Mutter und Vater lernten sich in den 1920er Jahren kennen. Sie heirateten, und Tochter Patricia (1930) und Sohn Peter Seamus (1932) liessen nicht lange auf sich warten. Die Protestantin stimmte zu, die Kinder im katholischen Glauben des Vaters, zu erziehen.

Kontraste und Gegensätze prägten die Kindheit von Peter O’Toole. Bereits mit vier Jahren konnte er lesen, doch in der Schule versagte der sensible Junge. Gleichzeitig war er ein Raubautz, der sich in den Slums der nordenglischen Stadt Leeds durchprügelte, ein Gassenjunge mit entsprechendem Wortschatz. Gleichzeitig wurde er von der belesenen Mutter früh an die Literatur herangeführt. Später war sein Englischlehrer von Peters Aufsätzen begeistert. Doch nichts deutete sonst in seiner mit Vierzehn früh beendeten Schulzeit auf eine Karriere als Schauspieler hin.

Peter O’Toole wuchs in einem Reihenhaus in Leeds auf. Die Stadt war damals ein Zentrum der Grossindustrie und der Grosswebereien, mit starken sozialen Kontrasten. Gleichzeitig war es die „goldene Stadt“ der Spieler. An den Renntagen ging Peter O’Toole mit dem Vater auf die Rennbahn. Dann war das Leben für ihn ein Picknick.


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Weniger schön fand er es in der Schule. In der „Catholic Boys‘ Infants School“. Als er ein urinierendes Wagenpferd mit riesigem Penis malte, das ihn auf der Rennbahn beeindruckt hatte, hatten die Schwestern keine Freude daran. Der sprachlich-literarisch begabte Junge hatte Probleme mit der Mathematik. Demütigungen – auch handfester Art – wegen dieser Schwäche ärgerten ihn noch Jahrzehnte später. Zudem war Peter Linkshänder, zu einer Zeit, als man dies noch als schlechte Gewohnheit betrachtete und z.B. durch Schläge auf die Finger mit dem Lineal bestrafte. Die Folge: Noch als Erwachsener verletzte sich O’Toole immer wieder die rechte Hand.

Peter war kein robustes Kind. Er fehlte öfters wegen Krankheit. So auch zu Beginn seiner Schulzeit, als er bei einem Einkaufsbummel wegen einem durchgebrochenen entzündeten Blinddarm zusammenbrach. Die Notoperation kam zu spät. Der Eiter hatte sich in die Bauchhöhle ergossen und dort eine Bauchfellentzündung ausgelöst. Vor der Entdeckung der Antibiotika war eine Peritonitis lebensgefährlich. Peter verbrachte daher einige Wochen auf einer Isolierstation.

Nach überstandener Krankheit brachte der Krieg eine weitere Trennung von der Familie. 1941 wurden die Kinder in England aufs Land evakuiert. Peter landete bei der Familie Steeple. Der Mann war Müller, die Frau gab Sprech- und Klavierunterricht. Der Sohn war im Krieg gefallen. Vielleicht kümmerte sich das Paar darum nicht so sehr um den kleinen Gast, der im Zimmer des Sohnes logierte. Der katholische Peter hatte sich bereits nach wenigen Tagen mit seiner anglikanischen Lehrerin verkracht und schwänzte die Schule. Dies bemerkte erst die Mutter bei einem Besuch. Sie nahm in zurück nach Leeds, wo Peter den Rest des Krieges verbrachte. Der Vater war als Werftarbeiter in den Krieg verpflichtet worden.

In seinen Memoiren (Loitering with Intent – The Child, London, 1993) schreibt Peter O’Toole, dass er bei Kriegsende traurig war, denn der „Bogeyman“, der „schwarze Mann“ jener Zeit, Adolf Hitler, hatte seine Fantasie beflügelt. In seinen Tagträumen versuchte er als „Geheimagent O’Toole“ den Diktator durch ein Attentat zu erledigen. Jahre später, in Geoffrey Households Thriller Rogue Male, spielte Peter im Film genau jene Rolle und erinnerte sich an seine Kindheitsfantasien zurück. Im ersten Teil seiner Memoiren zieht er immer wieder Parallelen zwischen seinem und Hitlers Werdegang. Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus hat ihn bis heute nicht logelassen.

Kurz nach seiner ersten Liebe beendete Peter O’Toole seine nicht besonders erfolgreiche Schulzeit. Sein Vater hatte sich damals mit gewalttätigen „Geschäftspartnern“ eingelassen, die das kleingedruckte in den Verträgen notfalls auch mit den Fäusten durchzusetzen gewohnt waren. Mit gebrochenen Fingern konnte er schlecht Karten spielen und angeknackste Rippen machen sich nicht gut auf der Rennbahn. Da Patrick O’Toole als Ernährer ausfiel, musste die Mutter Constance Jane für den Lebensunterhalt sorgen. Zuerst verkaufte sie, was vom Hausrat entbehrlich schien. Dann arbeitete sie als Bürohilfe und Putzfrau.

Peter begann, seinen Lebensunterhalt u.a. als Botenjunge, ehe er, von einem hilfsbereiten Lehrer vermittelt, in der Redaktion einer Zeitung landete, wo er zuerst als Juniorphotograph in der Dunkelkammer begann, ehe er mit 16 als Jungredakteur sämtliche Ressorts der Redaktion durchwanderte. Sein Talent als Schreiber (später in seinen Autobiografien dokumentiert), seine Neugier und sein Hinterfragen von Auskünften halfen ihm weiter.

Mit 17 wurde der Lehrling vom Gerichtsreporter ins Leichenschauhaus gesandt, um das Opfer eines Lustmordes zu begutachten. Dabei wurde es Peter so schlecht, dass er ein Bier brauchte. Im Pub war auch ein anderer Minderjähriger, Patrick O’Liver, der bei der zweiten Begegnung sein Freund und später ein renommierter Maler werden sollte.

Peter O’Tooles Chefredaktor hatte einen Freund bei einer überregionalen Zeitung, dessen Sohn. Dessen Sohn sei intelligent und hochbegabt, aber rebellisch und schwierig. Er ähnele Peter in der Art, der Sprache und sogar der Erscheinung. Ob sich die jungen Leute nicht treffen könnten. Genau, dieser junge Mann war Patrick O’Liver. Er führte Peter O’Toole in sein Elternhaus ein, in dem die Bohème, Schriftsteller, Maler, Musiker, Schauspieler, Bühnenbildner und Architekten verkehrten.

So wurde Peter in eine neue Welt eingeführt, von der der sonst so freche Junge beeindruckt und eingeschüchtert war, als begeisterter Zuschauer mit dem brennenden Wunsch, einmal selbst dazu zu gehören. Der Freund Patrick war mit dem Theater, insbesondere Shakespeare, gross geworden und sehr vertraut. Peter saugte das Wissen und die Atmosphäre im Haus des Freundes wie ein Schwamm auf.

Damals herrschte in England noch die allgemeine Wehrpflicht. Die Republik Irland war damals von England noch nicht anerkannt und so wurde er, der sich als ihre empfand, zum Militärdienst eingezogen. Er packte sein bestes Benehmen und seinen O’Toole-Charme aus und schaffte es in die Marine – auch, weil er aus „Captain Spats“ einen Vater machte, der aus einer langen Reihe irischer Seefahrer stamme.

Doch O’Toole war kein Mann für die Armee. Bald fand er den Dienst langweilig und versuchte, die dreijährige Dienstzeit abzukürzen, indem er z.B. bei einem Intelligenztest mit todernster Miene eine halbe Stunde lang versuchte, ein achteckiges Hölzchen in das dafür nicht vorgesehene runde Loch zu setzen. Er überzeugte den Schiffsarzt, dass seine Füsse für Marinestiefel zu empfindlich seien und durfte daher leichte Segeltuchschuhe tragen. Seine Länge konnte er nicht unbeschadet in einer Hängematte verstauen, daher durfte er zur Schonung seiner Wirbelsäule in einem Bett schlafen. Er lernte die Marineterminologie nicht und sprach konsequent von „links“ und „rechts“ anstatt von „backbord“ und „steuerbord“. Nach weiteren Kapriolen und einigen Besuchen in der Arrestzelle hatte die Royal Navy genug von ihm und entliess ihn nach 18 Monaten frühzeitig.

In Leeds hatte Patrick O’Liver das von der Marxist Association und der Young Communist League geführte Arts Centre entdeckt, das auch den Individualisten Peter faszinierte, allerdings weniger wegen der politischen Ausrichtung, als wegen der hübschen Mädchen, der toleranten Atmosphäre und der dortigen Amateurtheatergruppe.

Peter O’Toole begann seine Karriere allerdings nicht direkt auf der Bühne, sondern auf dem Umweg über ein Theaterstück, das er schrieb. Den ersten dramatischen Versuch verbrannte er jedoch, wozu er später schrieb: „Seinen leuchtendsten Moment hatte es, als ich es ins Feuer warf.“

Seine erste Chance auf der Bühne kam, als ein Hauptdarsteller für Turgenjews Väter und Söhne erkrankte. Der Leiter des Civic Theatre des Arts Centres, Ben Awad, hatte O’Toole in einer Weihnachtsshow mit kleinen Sketchen gesehen und bot ihm den Part in einem mit Profis besetzten Stück an. Peter, der mit seinem Job bei der Zeitung nicht glücklich war, nahm an. Anstatt über Ereignisse zu berichten, wollte er lieber selbst im Zentrum stehen. So kam Peter O’Toole langsam zum Theater. Doch noch fehlte ihm das Vertrauen.

Phillip Stone, ein Schauspieler, dessen in London erfolgreich begonnen Karriere durch eine Tuberkulose zum Erliegen gekommen war und nun am Arts Centre tätig war, half Peter weiter, indem er ihn hart aber kompetent kritisierte. Er sei talentiert, aber ein unverschämter Trottel, der noch viel zu lernen habe.

Peter O’Toole verdingte sich als Bauarbeiter, um an den Abenden und Wochenenden für das Theater frei zu sein. Er nahm bei einer betagten Schauspielerin Unterricht und las alles zum Thema Theater, was er finden konnte. Ein Einakter, für den Patrick O’Liver das Bühnenbild gestaltete, wurde ein Erfolg. Nun traute man ihm Grösseres zu.

Mit 21 gingen Peter O’Toole und Patrick O’Liver nach London, um sich an den Königlichen Akademien für darstellende bzw. bildende Kunst anzumelden. Auf dem Weg in die Hauptstadt machten sie in Stratford-upon-Avon halt, wo sie in einer Abendvorstellung Michael Redgrave als König Lear bewunderten. Peter O’Tooles Auffassung von Shakespeare wurde da geprägt und änderte sich nicht mehr grundlegend, was ihm später noch Probleme bereiten sollte).

Peter und Patrick gruben sich zum Schlafen in frisches Heu ein, ehe sie feststellten, dass es sich dabei um die Abdeckung von verrottendem Mist handelte. Am nächsten Morgen dufteten sie dementsprechend. Auf der Ladefläche eines Lastwagens kamen sie nach London, wo ihr Weg zur Pension an der Royal Academy of Dramatic Arts (RADA) vorbeiführte. Peter O’Toole entschied sich spontan, einen Blick hineinzuwerfen.

In der Eingangshalle traf er auf Kenneth Barnes, den brummigen Direktor der RADA, der ihn darüber aufklärte, dass eine Bewerbung mit einigem Papierkrieg verbunden sei. O’Toole packte seine Chance beim Schopf und fragte, ob es nicht unter Umständen – wie z.B. denen, dass er nun da sei – möglich wäre, die Präliminarien zu umgehen? Der Direktor fand ihn sympathisch und teilte dem jungen Mann mit, später am Nachmittag in sein Büro zu kommen. Dort erklärte er, dass nur 10% der Kandidaten zum zweiten Durchlauf zugelassen würden, wobei nochmals zwei Drittel der Bewerber ausgeschieden würden. Die nicht eben niedrigen Studiengebühren seien im voraus zu bezahlen, aber es gäbe diverse Stipendien. Ob er fürs Vorsprechen bereit sei? O’Toole bejahte und bekam ein zweiseitiges Dokument in die Hand gedrückt. Man sehe sich dann – übermorgen.

In 48 Stunden musste Peter einen auf Sir Kenneths Liste aufgeführten Monolog auswendig lernen und zudem einen selbstgewählten Text vorbereiten. Zwei Tage später schaffte es der 188 Zentimeter grosse Blonde, die erste Hürde zu nehmen. Zwei Wochen später sollte die zweite anstehen.

Doch dann kam der Schock. Die Royal Navy, inzwischen in den Koreakrieg verwickelt, rief den Reservisten O’Toole zurück. Er konnte noch zum zweiten Vorsprechtermin an die Akademie, doch dann verbrachte er einige Wochen auf See. Es war ihm nun klar, dass er Schauspieler werden wollte. Zurück in einer englischen Hafenstadt, las er das Telegramm seiner Eltern, dass die RADA ihn nicht nur als Schüler für das Wintersemester 1953 aufgenommen hatte, sondern dass sie ihm auch ein Stipendium gewährte. Das Semester hatte allerdings bereits 10 Tage zuvor begonnen.

An der RADA schätzte Peter O’Toole Lehrer wie Dame Sibyl Thorndyke, die von G.B. Shaw einst persönlich als seine erste „Jeanne d’Arc“ ausgewählt worden war. Sie war an der Akademie für die Sprechausbildung zuständig. Sein wohl wichtigster Lehrer wurde Ernest Milton. Bei ihm engagierte sich Peter weit über das übliche Mass normaler Studenten hinaus. Er las nicht nur die anstehenden Stücke und lernte seine Texte, sondern durchwühlte auch sämtliche Bücher in Bezug zum jeweiligen Werk.

Dass er nur vor Lehrern und Schülern auftrat, änderte nichts an seinem Engagement. Doch das machte ihn für sein Umfeld bereits damals schwierig: Seine grösste Stärke und Schwäche war seine Sturheit, mit der er an gewonnenen Überzeugungen festhielt. Zudem war er höchst unpünktlich, weil er oft Abende und Nächte lebenshungrig in Theatern, Kinos, Galerien, Music Halls und anderswo verbrachte und so Teil der Londoner Szene wurde. Zusätzlich erleichterte es ihm sein Alkoholkonsum nicht, rechtzeitig aus den Federn zu kommen. Dazu kamen Wutausbrüche. Doch obwohl die RADA für gründliches Aussortieren bekannt war, stand O’Tooles Verbleib an der Akadmie nie in Frage. Ihm wurde vergeben, denn er hatte Energie und Talent.

Der RADA-Jahrgang 1953 war von aussergewöhnlicher Qualität. Neben O’Toole waren da Roy Kinnear, Bryan Pringle (der als Klassenbester mit der Bancroft-Medaille ausgezeichnet wurde), Richard Harris, Alan Bates, Albert Finney und Ronald Fraser.

Harris, Pringle und Finney gehören noch heute zu O’Tooles Freunden. Sein engster Freund jedoch blieb O’Liver. Dazu kamen die Mädchen, insbesondere eine dunkelhaarige und dunkeläugige Studentin aus Chicago, die wohl seine erste erfüllte Liebe wurde, über deren Namen er sich aber als Gentleman in Herzensangelegenheiten in seinen Memoiren ausschweigt. Sie blieben ein Jahr lang ein Paar, bis sie in die USA zurückkehrte.

Ein Zubrot verdiente sich Peter mit Nebenjobs, so auf einer Baustelle. Mit der Schauspielerei konnte er noch nichts verdienen. Oft verletzte er sich dabei. So auch 1955, als er bei der Abschlussvorstellung seiner Klasse im Little Theatre der Royal Academy auf der Bühne hinkte, weil er zuvor auf der Autobahn mit einem Lastwagen zusammen gestossen war und zuerst ins Spital musste. Peters Freund, mit dessen Auto sie bei O’Tooles Eltern in Leeds gewesen waren, hatte sich dabei sogar ernsthaft verletzt. Peters Auftritt war dennoch brillant. Leider streikten damals gerade die Drucker, weshalb die Zeitungen darüber nicht berichteten. Doch er zweifelte nicht mehr an seiner Zukunft als Schauspieler.

Im zentralistischen England konzentrierte sich die Theaterszene auf London. Die Theatergruppen wurden selten grosszügig unterstützt und spielen daher oft „en suite“, ein Stück nach dem anderen. Deshalb entschied sich Peter O’Toole, sich eines der wenigen Repertoiretheater auszusuchen, das Bristol Old Vic. Zumindest 1955 spielten dort noch ausgezeichnete Schauspieler. Bristol war keinesfalls Provinz. Damals war das Theater ein Tochterunternehmen der Londoner Old Vic Company. Nach Bristol kamen nicht nur die Absolventen der Royal Academy, sondern auch der Theaterschule des Old Vic zum Casting. Daneben sandten alle Londoner Theateragenten ihren Nachwuchs. Peter O’Toole ging direkt nach Bristol, ohne Agenten. Er kam als einer der Letzten zum Casting. Zudem war der Direktor John Moody erkrankt. Sein Assistent Nat Brenner hörte sich die Vorsprechenden an.

Nach drei Jahren RADA war bei Peter der breite Yorkshire-Dialekt ebenso wie das Lispeln verschwunden, die Stimme hatte sich gesetzt. O’Toole überzeugte Nat Brenner als Cyrano de Bergerac. Ohne Rücksprache bei seinem Chef engagierte der junge Regisseur den Nachwuchsschauspieler, obwohl die Company bereits keine freie Stelle mehr hatte. Er bat gar John Moody, für eine der nächsten Produktionen, die eigentlich schon vollständig besetzt war, Platz für Peter O’Toole zu schaffen.

John Moody, obwohl von Peters Starqualitäten überzeugt, ersparte dem Schauspieler nicht die „Ochsentour“. O’Toole bekam viele Auftritte, zuerst aber nur in kleinen Rollen. Solche gibt es ja nicht, sondern nur kleine Schauspieler. Peter überwältigte mit seiner Präsenz selbst in Kurzauftritten. Zudem lernte er Disziplin und achtete den Rat von John Moody, der gleichzeitig das Talent und die Persönlichkeit von O’Toole respektierte. Die Biografien Binder schreibt dazu, dass Peter wohl nie wieder so „zahm“ gewesen sei wie in jenen Jahren in Bristol. Von dem Haus sagte er später, dass er ihm alles verdanke, was er sei und könne.

Bald kamen auch die Hauptrollen, so die des Vladimir in Becketts Warten auf Godot. Kritiker schrieben dazu, Peter sei einer jener Schauspieler, die das Bristol Old Vic zu einer der wichtigsten englischen Repertoirekompanien machten.

Neben den Hauptrollen entdeckte O’Toole seine Leidenschaft für das Cricket wieder, das er mit der ihm eigenen Intensität betrieb. Daneben feierte er auf Partys, wenn er nicht, wie für seine hübsche Schwester Patricia, die als Stewardess den Geschäftsmann Derek Combs kennengelernt und später geheiratet hat, selbst eine gab. Mehrmals verbrachte Peter Nächte in Polizeizellen wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ in betrunkenem Zustand. Ohne Führerschein fuhr er Auto, oft zu schnell, parkte am falschen Ort oder fuhr in einer Nacht eine Treppe hinunter. In Bristol soll er zudem zwei Autos zusammen gefaltet haben. Seine Lebenslust hatte auch etwas Selbstzerstörerisches.

Am meisten beunruhigte seine Kollegen Peters Faszination am Absonderlichen im Menschen. Er kultivierte oft Freundschaften mit Leuten, die von seiner Umgebung als Psychopathen beschrieben wurden.

Am Theater kam O’Toole oft zu spät. Als junge hatte er an extremer Schlaflosigkeit gelitten. Er konnte oft stundenlang nicht einschlafen, wälzte sich hin und her, bis er in einen „fast komatösen Erschöpfungsschlaf“ fiel. Damals wusste man noch nicht, dass Alkohol das Problem verschlimmerte. Ihm fehlte das Eintauchen in die Tiefschlafphase, weshalb er sich nicht wirklich erholen konnte.

Der ortsansässige Kammerjäger wurde engagiert, um Peter jeden Morgen aus dem Schlaf zu holen. Als das Hämmern an die Tür nicht half, händigte ihm O’Toole einen Schlüssel aus, damit ihn der Kammerjäger notfalls aus dem Bett zerren konnte.

Binder sieht in den Eskapaden O’Tooles ein Muster: „Du darfst das, dir sieht man das nach, weil du etwas Besonderes bist“. Peter suchte Bestätigung für die Individualität, die er bewahren wollte. Indem er immer wieder einmal gegen die Regeln verstiess, entlud sich der Druck, der auf ihm lastete. Er war sich wohl nicht ganz so sicher, wie er sich gab, dass er es nach ganz oben schaffen würde.

Fortsetzung folgt.

[Hinzugefügt am 30.1.2019: Die Biografie vom 1. + 3.4.2004, ursprünglich in 3 Teilen publiziert, wurde nie weitergeführt. Dafür gibt es das Buch von Sibylle Luise Binder: Peter O’Toole. Ein Porträt. Henschel Verlag, Berlin. Bestellen bei Amazon.de].

Filmographie von Peter O’Toole

The Savage Innocents (dt.: Im Land der langen Schatten bzw. Weisse Schatten), 1959
Kidnapped (Entführt – Die Abenteuer des David Balfour), 1960
The Day They Robbed The Bank of England (Bankraub des Jahrhunderts), 1960
Lawrence of Arabia (Lawrence von Arabien), 1962
Becket (Becket), 1964
Lord Jim (Lord Jim), 1965
What’s New, Pussycat? (Was gibt’s Neues, Pussy?), 1965
The Sandpiper (… die alles begehren), 1965
How To Steal a Million (Wie klaut man eine Million?), 1966
The Bible (Die Bibel), 1966
Casino Royale (Casino Royale), 1967
The Night of the Generals (Die Nacht der Generäle), 1967
Present Laughter, TV, 1968
The Lion in Winter (Der Löwe im Winter), 1968
The Great Catherine (Die grosse Katherina), 1968
Goodbye, Mr. Chips (Goodbye, Mr. Chips bzw. Auf Wiedersehen Mr. Chips), 1969
Murphy’s War (Murphy’s Krieg bzw. Das Wiegenlied der Verdammten), 1971
Man of La Mancha (Der Mann von La Mancha), 1972
The Ruling Class, 1972
Under Milk Wood, 1973
Rosebud (Unternehmen Rosebud), 1975
Man Friday (Freitag und Robinson), 1975
Foxtrot (Tödliches Inselparadies), 1975
Rogue Male, TV, 1976
Power Play (Power Play), 1976
Zulu Dawn (Die letzte Offensive), 1979
Caligula (Caligula), 1979
The Stuntman (Der lange Tod des Stuntman Cameron), 1980
Strumpet City, TV, 1980
Masada (Masada Teil 1-4), TV, 1981
My Favorite Year (Ein Draufgänger in New York), 1982
Svengali (Obsession – Die dunkle Seite des Ruhms), TV, 1983
Sherlock Holmes and the Valley of Fear, 1983
Sherlock Holmes and the Sign of Four, 1983
Sherlock Holmes and the Baskerville Curse, 1983
Sherlock Holmes and a Study in Scarlet, 1983
Pymalion, TV, 1983
Kim (Kim), TV, 1984
Supergirl (Supergirl – The Movie), 1984
Creator (Der Professor oder Wie ich meine Frau wiedererweckte bzw. Creator – Der Professor und die Sünde), 1985
Club Paradise (Club Paradise), 1986
The Last Emperor (Der letzte Kaiser), 1987
Dark Angel (Dark Angel), TV, 1987
High Spirits (High Spirits – die Geister sind willig), 1988
Wings of Fame (Hotel zur Unsterblichkeit), 1989
So Long As It’s Love, In una notte die chiaro di luna (Diese vitale Wut), 1989
Crossing To Freedom (Der Rattenfänger), TV, 1990
The Nutcracker Prince (Der Nussknacker-Prinz), 1990
A Salute to David Lean, TV, 1990
The Rainbow Thief, 1990
King Ralph (King Ralph), 1991
Isabelle Eberhardt (Isabelle Eberhardt), 1992
The Seventh Coin (Die siebente Münze), 1992
Rebecca’s Daughters (Rebeccas Töchter), 1992
Heaven & Hell: North & South, Band III (Fackeln im Sturm), TV, 1994
Heavy Wheater, TV, 1995
Gulliver’s Travels (Gullivers Reisen), TV, 1996
Fairy Tale: A True Story (Fremde Wesen bzw. Zauber der Elfen), 1997
Phantoms (Phantoms), 1998
Coming Home 1 + 2 (Rosamunde Pilcher: Heimkehr Teil 1 + 2), TV, 1998
The Manor, 1999
Molokai: The Story of Father Damien, 1999
Joan of Arc 1 + 2 (Jeanne d’Arc – Die Frau des Jahrtausends, Teil 1 + 2), TV, 1999
Jeffrey Bernard Is Unwell, TV, 1999
Sinister Saga Of Making „The Stunt Man“, 2000
Global Heresy, 2003
The Final Curtain, 2003

Artikel vom 1. + 3. April 2003. Ursprünglich in 3 Teilen publiziert.