Mariage Frères

Sep 06, 2004 at 00:00 2704

Die Geschichte des Pariser Teehauses und seine Tees

Der chinesische Kaiser Chen-Nung war sehr um die Hygiene besorgt und trank daher nur gekochtes Wasser. Als er vor rund 5000 Jahren unter einem wilden Teebaum sass und ihm der Legende nach einige Blätter in seine Tasse fielen, schlug die Geburtsstunde des Tees. Damals hat das ebenso bekömmliche wie gesunde Getränk seinen Siegeszug um die Welt angetreten.

Frankreich ist zwar nicht als Teenation bekannt, auch wenn Kardinal Mazarin bereits 1639 am Hof Tee trank. Doch in Paris ist seit 150 Jahren die Firma Mariage Frères tätig, die der Teekultur vor allem in den letzten Jahrzehnten herausragende Impulse gegeben hat.

Immer mehr Gourmets kennen zumindest einen der drei im Kolonialstil eingerichteten Pariser Talonsalons von Mariage Frères. Die Illusion mit Kassen, Ladentischen und Instrumenten des Teegeschäfts aus dem 19. Jahrhundert ist fast perfekt. Nur wenige Gäste wissen, dass der älteste Salon, jener in der Rue du Bourg-Tibourg im Marais, lediglich aus dem Jahr 1986 stammt. Bis zu Beginn der 80er Jahre war Mariage Frères
ein nur im Grosshandel tätiges Teekontor. Ein näherer Blick aufs Interieur der Salons zeigt, dass neben den stilechten Einrichtungsgegenständen, die alle aus dem historischen ehemaligen Teegeschäft und -Depot in der Rue du Cloître-Saint-Merri stammen, Stühle und Tische neueren Datums stehen, die sich harmonisch ins kolonial-exotische Konzept einfügen.

Bereits im 17. Jahrhundert waren Mitglieder der Familie Mariage im Kolonialwarenhandel tätig und reisten bis nach Madagaskar, Persien und Indien. 1854 eröffneten zwei Mariage-Brüder in der erwähnten Pariser Rue du Cloître-Saint-Merri, in der Nähe des heutigen Centre Pompidou, das Importhaus für Tee und Vanille Mariage Frères. Demoiselle Marthe Cottin stand als letzte Besitzerin aus der Gründerfamilie bis 1983 der Firma vor. Im Vorjahr hatte sie zwei enthusiastische Ausländer gefunden, die bereit waren, das Erbe von Mariage Frères weiterzupflegen.

Der Holländer Richard Bueno war mit dreissig Jahren auf der Suche nach einer Aktivität, die ihm ein Auskommen geben und gleichzeitig das Reisen erlauben würde. Seine einzige
Beziehung zu diesem Geschäft war ein Grossvater, der in Indonesien ein Teeplantage besass. Sein Partner war der zwei Jahre jüngere Thailänder Politologiestudent Kitti Cha Sangmanee. Sein Vater war Arzt und besass Früchteplantagen in der Nähe von Bangkok.

Entgegen dem Rat all ihrer Freunde engagierten sich die zwei jungen Männer an der Seite von Marthe Cottin, um in Teekultur und -Geschäft einzutauchen und die Firma neuen Ufern entgegenzuführen – in den ersten Monaten übrigens ohne jede Bezahlung.

Sangmanee bereiste Europa auf der Suche nach der vielgelobten Teekultur. Englands tea time enttäuschte ihn wegen der handvoll immergleichen Tees mittelmässiger Qualität. Er erkannte sofort das Marktpotential von Mariage Frères und erweiterte konsequent die direkten Kontakte zu Produzenten rund um den Globus.

Mariage Frères bauten seit 1982 unter den neuen Besitzern das Sortiment beständig aus. Die Teekarte umfasst heute rund 250 Teemischungen aus aller Welt. – Richard Bueno
verstarb leider 1995 nach schwerer Krankheit, sodass nun Herr Sangmanee die Firma alleine führt.

Zu den überzeugendsten Kreationen der letzten Jahre zählt der Sakura, ein parfümierter Grüntee. Die diesjährige Mischung ist die Kombination eines ganz bestimmten Sencha mit speziell dafür ausgewählten Kirschblüten. Er bleibt nur so lange im Angebot, wie Mariage Frères die exakt gleichen Ingredienzien der Komposition garantieren kann. Jährlich entsteht eine neue Sakura-Mischung.

Die zwei jungen Tee-Enthusiasten nahmen sich Frankreichs Weinkultur zum Vorbild, stiegen in den Detailhandel ein und eröffneten drei Teesalons in Paris sowie zwei in Japan. Das heute 200köpfige Team von Mariage Frères entwickelt zudem eine Fülle von auf Tee basierenden Produkten, bei denen oft die Kultur des Orients mit jener des Okzidents verheiratet wird. Bereits die Gründer liessen 1860 die Teeschokolade brevetieren. Neben über 1500 Rezeptvorschlägen auf Teebasis sind so seit 1982 unter anderen das Teegelée, die Teebonbons, das Grünteepulver poudre de jade sowie das Teesalz, das wie ein Gewürz verwendet wird, entstanden.

Noch wichtiger als diese kulinarischen Neuschöpfungen sind das Teevokabular, das Mariage Frères etablierte, sowie die Untersuchungen zur Teekultur (Infusionszeiten,
Temperaturen, Teequantitäten, Teekannen, Wasser, Lagerung, etc.), das vom Traditionshaus als L’art français du thé vermarktet wird.

Photos © Extrait du livre Thé Français, Flammarion, Photo Francis Hammond.

Fotos © Extrait du livre Thé Français, Flammarion, Photo Francis Hammond.

Photo © Francis Hammond / Thé Français, Flammarion.

Sakura 2004. Foto © Mariage Frères.

Weiterführende Literatur, Quellen: English, français
– The French Art of Tea, Mariage Frères, 2004, 107 S. ISBN: 2951346182.
– L’Art Français du Thé, Mariage Frères, 2003, 107 S. ISBN: 2951346174.
– Alain Stella: French Tea. Mariage Frères. Photos Francis Hammond. Flammarion, 2003. Get it from Amazon.com.
– Alain Stella: Thé français. Trois siècles de passion. Mariage Frères. Photos Francis Hammond. Flammarion, 2004, 275 S. Amazon.fr.
– The Tea Council’s Guide to the Best Tea Places in England. The Little Bookroom, 231 p. Get it from Amazon.com.
– AA Britain’s Best: Afternoon Tea. 2004, 192 p. Get it from Amazon.co.uk or Amazon.de.