Steueroasen

Mai 02, 2013 at 00:00 993

Das Buch Schatzinseln von Nicholas Shaxson. Zu hohe Steuern und Abgaben sowie unsinnige Staatsausgaben führen zu vielen legalen und illegalen Steuerschlupflöchern.

Die Linke wie die Rechte haben recht, denn die Kerze brennt an beiden Enden. Das Steuerniveau ist in Europa viel zu hoch. Kanzlerin Merkel hatte zwar im Januar 2013 am WEF in Davos richtig erkannt, dass Europa nur 7% der Weltbevölkerung stellt, dabei 25% des Weltinlandprodukts verantwortet und sagenhafte 50% der weltweiten Sozialausgaben bestreitet. Doch leider handelt sie überhaupt nicht so, als hätte sie die Lehren daraus gezogen, wovon zum Beispiel die „Herdprämie“ zeugt. Zugleich hat sie die FDP nach den Bundestagswahlen kaltgestellt, als es um Steuersenkungen und Steuervereinfachungen ging. Vielleicht kommen nun bei einer möglichen Neuauflage von Schwarz-Gelb doch noch Steuervereinfachungen, wie sie FDP-Parteichef Rösler zurecht vertritt. Das deutsche Steuerrecht ist ein einziges Wirrwarr. Allerdings sieht es zur Zeit nach einer Neuauflage der Grossen Koalition aus.

Das Buch Schatzinseln. Wie Steueroasen die Demokratie untergraben von Nicholas Shaxson (Amazon.de) beleuchtet das andere Ende der Kerze, nämlich nicht die sinnlosen Ausgaben eines Staates, der mit Geld nur so um sich wirft und dabei auf immer mehr Steuern und Abgaben setzt, sondern die Seite der legalen und illegalen Steuerflucht und Steuerschlupflöcher.

Der Journalist Nicholas Shaxson gehört zum Tax Justice Network und weiss wovon er bezüglich Steueroasen schreibt. Die Situation ist allerdings sehr kompliziert und verfahren. Insbesondere die USA und Europa schiessen sich selbst ins Bein, indem sie Steuerflucht, Steuermeidung und Steuerumgehung zum Teil erst ermöglichten, legalisierten, erleichterten und bisher nicht ernsthaft bekämpft haben. Der jetzt angegangene Kampf gegen Steuerflüchtlinge mit dem möglichen automatischen Informationsaustausch zu Bankdaten am Horizont würde nur einen Teil der Probleme beseitigen.

Nicholas Shaxson beginnt sein Buch mit einer Geschichte aus den 1990er, die jedoch bezeichnend für die französische Politik, ihr Geheimdienst-Establishment und ihr Selbstverständnis ist: die Affäre-Elf Aquitaine, in die natürlich zentral auch der korrupte Herrscher Gabuns, Omar Bongo, involviert war. Zur französischen Afrikapolitik alleine müsste man ein Buch verfassen. Im Gegenzug zu französischer Protektion vor Staatsstreichen und Militärhilfe gewährte Omar Bongo französischen Unternehmen fast exklusiven Zugang zu den Mineralvorräten Gabuns zu äusserst günstigen Bedingungen, wovon er selbst natürlich selbst wieder profitierte. Die französische Untersuchungsrichterin Eva Joly (Im Auge des Zyklons; bei Amazon.de) entdeckte bei ihren Nachforschungen zu Elf Aquitaine einen gigantischen Schmiergeldfonds, von dem Frankreichs Rechte und Linke profitierten. Das ehemalige Unterwäschemodell und die Geliebte des französischen Aussenministers, Christine Deviers-Joncour, musste wegen Elf Aquitaine Schmiergeldern und dem Verkauf von Raketenschnellbooten an Taiwan ins Gefängnis. Sie schützte Roland Dumas und das Schmiergeldsystem. Die Politiker dankten es ihr nicht. Deshalb verfasste sie 1999 ihre Sicht der Dinge im Buch Die Hure der Republik (La putain de la République; bei Amazon.de). Das System von Elf Aquitaine half den Franzosen, viel Kontrolle über die ehemaligen Kolonien zu behalten. Laut Shaxson bleibt das meiste illegale Kapital aus Afrika im Netz der britischen Steueroasen hängen. Eva Joly erkannte die Beziehung zwischen Steueroasen und Dekolonisation, was sie als neue Form der Kolonisation deutete. Als sich der französische Entwicklungsminister Jean-Marie Bockel 2008 naiv über den fehlenden Bruch mit der korrupten Vergangenheit in der Afrikapolitik Frankreichs beklagte, wurde er prompt entlassen. Das Elf-System war laut Shaxson Teil der Offshore-Welt. Gabun stellt nichtansässigen Eliten eine geheime und korrupte Infrastruktur zur Verfügung, ein klassisches Merkmal einer Steueroase, so Shaxson.

Steueroasen sind keinesfalls nur obskure, kleine Inseln mit Briefkastenfirmen. Mehr als die Hälfte des Welthandels fliesst zumindest auf dem Papier durch Steueroasen. Über die Hälfte der weltweiten Bankvermögen und ein Drittel der ausländischen Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen werden in Offshore-Zentren geleitet. Den Euromarkt bezeichnet Shaxson als staatenlose Offshore-Zone. 99 der 100 grössten Unternehmen in Grossbritannien, Frankreich und den Niederlanden unterhielten 2008 Ableger in Steueroasen. 83 der 100 grössten US-Konzerne hatten Tochterunternehmen in Steueroasen.

Nicholas Shaxson definiert die sechs Merkmale, die seiner Meinung nach eine Steueroase kennzeichnen. Er unterteilt die Welt in vier grössere Zonen von Schattenfinanzzentren. Erstens die europäischen Steueroasen. Zweitens eine britische Zone mit der City of London als Zentrum. Drittens eine Einflusszone mit den USA als Mittelpunkt. Viertens eine Kategorie mit „nicht klassifzierbarer Kuriositäten“ wie Somalia und Uruguay, die nicht besonders erfolgreich seien, weshalb der Autor sie in seinem empfehlenswerten Buch nicht behandelt.

Die Steueroasen seien während des Ersten Weltkriegs so richtig in Fahrt gekommen, als die Regierungen zwecks der Kriegsfinanzierung ihre Steuern kräftig erhöht hätten. Doch einige Oasen gehen viel weiter zurück. So hätten die Genfer Bankiers spätestens seit dem 18. Jahrhundert die Geheimvermögen der europäischen Eliten gehütet.

Nichalos Shaxson behandelt eine Vielzahl von Offshore-Praktiken, so das Transfer Pricing, bei dem multinationale Unternehmen ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer verschieben, während dem sie ihre Kosten in Hochsteuerländern abrechneten, wo sie von den Steuern abgezogen werden können. The Guardian berichtete, dass die drei grössten Bananenkonzerne Del Monte, Dole und Chiquita in Grossbritannien 2006 fast $750 Millionen umsetzten, aber zusammen nur $235,000 an Steuern bezahlten, weniger als ein einzelner Spitzenfussballer. Das Transfer Pricing wird weltweit angewandt und ist zumeist legal.

Zum amerikanischen Offshore-System merkt Shaxson an, dass es auf drei Stufen funktioniere. Auf Bundesebene böten die USA Steuerbefreiungen, Geheimhaltungsklauseln und Gesetze an, um in bester Offshore-Manier ausländisches Geld anzulocken. So sei es in den USA Banken erlaubt, Gewinne aus bestimmten Straftaten anzunehmen, solange diese Straftaten im Ausland begangen wurden. Die Identität von Ausländern, deren Geld in den USA liegt, müsse nicht preisgegeben werden. Eine zweite Offshore-Stufe sieht Shaxson auf dem Niveau der Gliedstaaten, die wie beispielsweise Florida Lateinamerikas Eliten köderten. Mit diesen Staaten tauschten die Vereinigten Staaten allgemein keine Bankdaten aus. Die Steuerflucht aus Lateinamerika nach Florida mache deshalb einen Grossteil des Florida-Bankgeschäfts mit Lateinamerika aus. Zudem habe Florida viele Jahre als geheime Zufluchtsstätte für Geld aus dem organisierten Verbrechen und dem Drogenhandel gedient. Wyoming, Delaware und Nevada bieten kaum regulierte Geheimhaltung für Unternehmen. Das zöge illegale Geldanlagen an und sogar Finanzierungsmittel für den Terrorismus, so Shaxson, der als grösste Steueroase um US-Einflussgebiet Panama bezeichnet.

Für Nicholas Shaxson sind insbesondere Grossbritannien, die USA und mehrere grosse europäische Steueroasen die Wächter des Offshore-Systems. Dennoch fänden sich diese Staaten seit Mai 2009 nicht auf der schwarzen Liste der OECD.

Das Buch Schatzinseln. Wie Steueroasen die Demokratie untergraben beinhaltet Dutzende, ja Hunderte von erwähnenswerten fundamentalen Informationen, nicht bloss Details. Der Schweiz ist ein Kapitel gewidmet. Der Eurodollar, die City von London, der Einfluss von Steueroasen auf die Dritte Welt, das US-System und vieles mehr findet sich in diesem Buch, das Pflichtlektüre zum Thema Steueroasen ist.

Die Kehrseite der Medaille berührt Nicholas Shaxson nicht. Zu hohe Steuern und Abgaben sowie unsinnige Staatsausgaben führen zu vielen legalen und illegalen Steuerschlupflöchern. Wann immer Politiker Steuern und Abgaben erhöhen, müssen sie für ihre Klientel immer neue Schlupflöcher schaffen bzw. einfach diskret wegsehen. So sind viele Steuerbehörden  unterdotiert. Viele Unternehmen werden bestenfalls einmal alle zehn Jahre überprüft. Die Ehrlichen sind die Dummen.

Shaxson hat weitgehend recht mit seiner Analyse. Heute sollte man allerdings dem Thema China, das der Autor nicht behandelt, ein Kapitel widmen. Shaxson zeigt das weltweite Offshore- und Steuervermeidungssystem auf, das mehr als nur klassische Steueroasen beinhaltet. Doch gerade weil es so komplex ist, scheint es unwahrscheinlich, dass sich daran in nächster Zeit viel ändert. Sollte der Bankrott einer „systemrelevanten“ Grossbank das weltweite Finanzsystem stark beschädigen oder an den Rand des Abgrunds bringen, ertönt wohl wieder der Ruf nach massiven Staatsinterventionen und Verstaatlichungen, nach mehr Sozialismus und gar Kommunismus. Als Liberaler kann man nur den Kopf über die Kurzsichtigkeit unserer Politiker und Konzernchefs schütteln, darunter übrigens auch viele angeblich „liberale“. Tiefere, erträgliche Steuern und Abgaben, die durch internationale Kooperation weltweit eingetrieben werden, sind die Lösung. Ob diese durchsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt.

Nicholas Shaxson: Schatzinseln. Wie Steueroasen die Demokratie untergraben. Rotpunktverlag, 2011, 416 Seiten. Bestellen bei Amazon.de. Notebooks bei Amazon.de. Bücher zu Steueroasen bei Amazon.de.

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